Das dreieckige semiotische Monster
oder
Ein Plädoyer für zeitgemäße Terminologiearbeit
Kennen Sie das auch? Sie stehen an der Tankstelle und saugen Krümelberge von den Polstern und denken sich so: „Also das mit dem Saugen geht eigentlich so einfach, ich weiß auch nicht, warum ich damit immer warte, bis ich die große Autowäsche mache. Stattdessen schubse ich sechs Monate lang Krümel von den Sitzen, ohne dass es wirklich was bringt.“
Diese Zurückhaltung, die Krümel mit technischen Hilfsmitteln loszuwerden, ist der Scheu vor professioneller Terminologiearbeit in Unternehmen nicht unähnlich: Jeder weiß, dass Terminologiemanagement sinnvoll ist, jeder weiß, dass es die Arbeit erleichtert. Aber sich mit diesem Thema zu beschäftigen geschieht erst dann, wenn der Leidensdruck so angewachsen ist, dass große Lösungen unausweichlich scheinen. Bis dahin suchen sich die Mitarbeiter*innen und externen Sprachdienstleister jeden Tag krümelweise die richtigen Begriffe zusammen. Jeder für sich und immer wieder aufs Neue. Eine „saubere“ Unternehmenssprache muss aber gar nicht der große Aufwasch sein, für den ihn viele halten.
In diesen Zusammenhang passt auch der LinkedIn-Beitrag eines freiberuflichen Übersetzers, auf den wir letztens gestoßen sind. Er berichtet darin über die Arbeitsgeschwindigkeit bei der Übersetzung und schreibt begeistert, dass er kürzlich den Einsatz von Glossaren für sich entdeckt habe. Die Übersetzertätigkeit gehe ihm jetzt, da er für seine Projekte mit vorher angefertigten Glossaren arbeite, viel leichter und schneller von der Hand. Schön für ihn. Aber schade für seine Auftraggeber*innen, wenn der Übersetzer seine Glossare isoliert erstellt und nutzt. Insbesondere deshalb, weil die heute verfügbaren Technologien es ermöglichen, individuelle Terminologielösungen ohne große Investitionen zu erstellen und so auch der/die Auftraggeber*in in den Genuss der festgelegten Terminologie kommen könnte.
Doch die Macht der Gewohnheit, lieber viele Male im Kleinen zu leiden, als das berüchtigte „große Fass“ aufzumachen, ist scheinbar zu groß – selbst dann, wenn es nur ein Fässchen werden könnte.
In den vergangenen Jahrzehnten sind immer weitere und verbesserte Werkzeuge entwickelt worden, die den Umgang mit Sprache im Unternehmen unterstützen und erleichtern, und somit auch den schrittweisen Einstieg ins professionelle Terminologiemanagement ermöglichen. Die Zeiten der dezentral auf Papier oder in Excel geführten Listen müssten also schon lange passé sein. Man muss eben nur wissen, wie man diese Tools für sich nutzen kann.
Wenn man mit den verschiedenen Beteiligten im Bereich der Erstellung und Übersetzung von Unternehmenstexten spricht, dann bestätigt fast jeder, dass er um die große Bedeutung der konsistenten Verwendung passender Terminologie weiß. Speziell vor dem Hintergrund, dass „Unternehmenssprache“ bzw. „Corporate Language“ immer mehr an Bedeutung gewinnen. Das Corporate Language Manual gilt mittlerweile als anerkannter Bestandteil der Corporate Identity. Ihm wird teilweise sogar eine größere Bedeutung zugesprochen als seinem visuellen Bruder, dem Corporate Design Manual.
Vorteile eines Terminologiemanagements:
- Bessere Lesbarkeit und damit höhere Qualität der Unternehmenskommunikation
- Unterstützung der Markenbildung durch eine einheitliche Sprache
- Reduktion von Risiken und Missverständnissen
- Reduktion der Übersetzungskosten
- Verbesserung der Qualität von Übersetzungen
- Vereinfachung des Zugriffs auf Informationen und Wissen im Unternehmen
Und dennoch – die Praxis zeigt, dass in den allermeisten Fällen keine adäquate Terminologiearbeit geleistet wird. Autor*innen legen eventuell noch die Schlüsselterminologie beim Erstellen der Texte fest – dann aber häufig in lokalen Excel-Listen und ohne zeitgemäße Einbindung in Redaktionssysteme und Tools zur sprachlichen Qualitätssicherung der Texte.
Die mit dem Übersetzungsmanagement betrauten Personen oder Abteilungen der Unternehmen erhalten zumeist kein adäquates Budget für die Einführung und den laufenden Unterhalt eines Terminologiemanagements – vielleicht auch deshalb, weil dies von der Unternehmensführung als Nice-To-Have, aber nicht zwingend erforderlich angesehen wird. Übersetzungsdienstleister sind häufig nicht bereit oder aufgrund der Projektzeitpläne nicht in der Lage, in zusätzlichen Aufwand zu investieren. Nicht zuletzt auch, weil viele Übersetzer*innen diese zusätzlichen meist unbezahlten Tätigkeiten nicht auf sich nehmen wollen.
Gewiss, bei einer unternehmensweiten Einführung eines Terminologiemanagements stellen sich neben den finanziellen auch organisatorische Herausforderungen. Welches System soll zum Einsatz kommen? Wer soll es nutzen? Wie können externe Dienstleister, die mit der Unternehmenssprache arbeiten oder Übersetzungen beisteuern, angebunden werden? Wie sind die Workflows, insbesondere Genehmigungs-Workflows für Terminologie intern und extern? Und so entwickelt sich das Thema Terminologiemanagement zu einem riesigen, kostspieligen und furchteinflößenden dreieckigen semiotischen Monster, an das sich nur wenige herantrauen.
Wir bei Gemino sind der festen Überzeugung: Das darf nicht sein – und viel wichtiger – es muss auch nicht sein! Wenn es schon in vielen Strukturen nicht möglich ist, Terminologiearbeit gemäß Lehrbuch zu machen und die großartigen und leistungsstarken Tools, die es da draußen gibt, zu nutzen, um eine durchgängige unternehmensweite Konsistenz der Unternehmenssprache zu erreichen, dann darf die Konsequenz nicht sein, überhaupt nichts in dieser Hinsicht zu unternehmen. „Lean“ und „Agil“ sind seit Jahren in aller Munde – aber wie lassen sich diese Konzepte auf den Bereich Terminologiearbeit übertragen?
Kann es vielleicht einen Kompromiss geben, der keine „faule“ und minderwertige Alternative, sondern eine mindestens ziemlich gute Option darstellt?
Also ein Minimales Terminologiemanagement im besten Sinne?
Ein Ansatz dabei ist das Paretoprinzip. Dieses besagt, dass mit dem Einsatz von 20 % der Mittel bereits 80 % des Ergebnisses erreicht werden kann. Es geht also um Weglassen. Dies ist nicht damit zu verwechseln, nach Erbringung von 20 % der Leistung die Arbeit einzustellen. Es geht vielmehr um intelligentes Weglassen. Der Trick besteht nun darin, herauszufinden, welches die 20 % der Mittel sind, deren Einsatz in der eigenen, individuellen Situation eine Wirkung von 80 % erzielen.
Wir möchten Sie ermutigen, darüber nachzudenken, wie Sie dieses Prinzip auf den zeitgemäßen Umgang mit Terminologie in Ihrem Bereich übertragen können. Es lassen sich bestimmt viele kleine Ansatzpunkte finden, die in ihrer Summe einen Großteil der positiven Effekte eines lehrbuchmäßigen Terminologiemanagements Wirklichkeit werden lassen können. Und das bereits mit dem Aufwand eines minimalen Terminologiemanagements.
Das Krümelproblem kann man übrigens genauso in den Griff bekommen. Statt zu groß oder gar nicht zu putzen, ist ein Handstaubsauger für 40 € die Alternative. Und der rechnet er sich ziemlich schnell, denn die 3 € für einmal Durchsaugen an der Tankstelle kann man sich dann sparen.
Für das Terminologiemanagement „light“ haben wir hier einige Ansatzpunkte zur Annäherung an das intelligente „Weglassen“:
Praxisempfehlung
Weniger ist mehr!
- Unternehmenswörterbuch statt Termbank?
Reduzieren Sie den Anspruch, die „perfekte“ Termbank mit allen denkbaren Informationen und Metadaten zu erstellen. Arbeiten Sie im einfachsten Fall mit einem ein- oder mehrsprachigen Wörterbuch – vielleicht ergänzt um die verbotenen Benennungen. Überlegen Sie, welche weiteren Informationen Sie darüber hinaus wirklich unbedingt benötigen – und pflegen wollen und können. - Geht Technik auch einfach?
Finden Sie Wege, die wesentlichen Informationen allen Beteiligten möglichst einfach zugänglich zu machen. Je nach Teamgröße ist vielleicht eine gemeinsam zugängliche Excel-Datei im Intranet bereits eine Option. Denken Sie an Lösungen, die ohne große initiale Investitionen, Installation, Schulungen etc. funktionieren. Achten Sie darauf, hinsichtlich der verwendeten Formate möglichst offen zu bleiben, um einen zukünftig erforderlichen Austausch des Datenbestandes nicht unnötig einzuschränken. - Wieviel Workflow brauchen Sie eigentlich?
Vereinfachen Sie den Workflow der Generierung von Einträgen (Termkandidaten) sowie der Festlegung und Freigabe soweit möglich. Wo (intern/extern?) liegen die Kernkompetenzen für eine Festlegung? Wer kann am einfachsten Terminologie extrahieren bzw. muss diese sowieso im Rahmen der Inhaltserstellung festlegen oder übersetzen? Und: Benötigen Sie einen kompletten Terminologieleitfaden oder genügen ein paar Grundregeln im Kopfteil der Terminologieliste?
Konzipieren Sie also Ihr eigenes Minimales Terminologiemanagement!
Machen Sie sich auf den Weg – mit kleinen Schritten. Und wenn Sie dann die realisierten qualitativen wie auch wirtschaftlichen Erfolge sehen und gegenüber Skeptikern belegen können, können Sie das Ganze jederzeit schrittweise in Richtung des perfekten Terminologiemanagements ausbauen.